Einleitung

«Wissenschaftliche Unter­su­chungen zur verantwortungsvollen Unternehmensführung in Latein­amerika sind rar»

Unternehmen wird immer wieder vorgeworfen, dass sie gegen soziale und/oder ökologische Standards verstoßen. Basierend auf Zahlen des Business & Human Rights Resource Centre liegen die deutschen Unternehmen bezogen auf die Anzahl der gegen sie erhobenen Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen weltweit an 5. Stelle. Unternehmen mit Sitz in der Schweiz rangieren auf Platz 9. Mexikanische Unternehmen liegen auf Rang 18 und brasilianische auf Rang 19 (Kamminga 2015). Die Aktivitäten zur Herstellung und Vermarktung von Produkten und Dienst­leistungen sind zunehmend weltweit verteilt. Dabei sind Unternehmen auch in Ländern aktiv, in denen lediglich geringe gesetzliche Standards zum Schutz ökologischer und gesellschaftlicher Belange existieren oder deren Umsetzung nur unzureichend durch die staatlichen Institutionen überprüft wird. Aus diesem Grund wird Unternehmen hinsichtlich der Einhaltung von Standards auf allen Stufen der Wertschöpfungskette eine hohe Bedeutung zugeschrieben. Angesichts der steigenden Erwartungen der Anspruchsgruppen (siehe z.B. Konzern­ver­ant­wor­tungs­initiative in der Schweiz) gewinnt die verantwortungsvolle Un­ter­neh­mens­füh­rung im internationalen Kontext auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive zunehmend an Bedeutung.

In den letzten Jahren sind international zahlreiche Rahmenwerke entstanden, an denen Unternehmen ihr verantwortungsvolles Handeln ausrichten können. Hierzu zählen z.B. die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, der UN Global Compact, die UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die UN Sustainable Development Goals (SDG), die Richtlinie ISO 26000 oder die Global Reporting Initiative. Ziel dieser Rahmenwerke ist es, die Unternehmen dabei zu unterstützen, einen positiven Beitrag zum weltweiten ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Fortschritt zu erbringen und die betriebswirtschaftlichen Vorteile auszuschöpfen, die mit dem verantwortungsvollen unternehmerischen Handeln verbunden sind. Neben allgemeinen Grundsätzen für ver­ant­wor­tungs­volles Handeln im internationalen Kontext decken die Rahmenwerke konkrete Handlungsbereiche ab. Hierzu zählen besonders die Themen Menschenrechte und Arbeitsbedingungen, Umwelt, sowie Bekämpfung von Korruption und Bestechung.

In den zurückliegenden Jahren ist bei vielen internationalen Akteuren das Be­wusst­sein erwachsen, dass die entwicklungspolitischen Zielsetzungen, wie sie etwa in den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen formuliert wurden, nur mithilfe der aktiven Beteiligung der Privatwirtschaft erreicht werden können. Die unternehmerische Initiative ist ein wichtiger Bestandteil eines leistungsfähigen Wirtschaftssystems und eine bedeutende Triebfeder für eine nachhaltige wirt­schaft­liche, gesellschaftliche und ökologische Entwicklung. Auch das internationale privatwirtschaftliche Engagement, z.B. in Form von Außenhandel und Di­rekt­in­ves­ti­ti­onen, ist vielfach mit bedeutenden entwicklungspolitischen Impulsen verbunden, beispielsweise durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Verbesserung der Infrastruktur oder den Wissens- und Technologietransfer. Der nutzbringende Effekt der Unternehmenstätigkeit stellt sich jedoch weder automatisch ein noch verteilt er sich gleichmäßig über alle Bevölkerungsgruppen. Um die Vorteile der Unternehmensaktivitäten für die nachhaltige gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung nutzen zu können, gewinnt das Konzept der verantwortungsvollen Unternehmensführung auch aus entwicklungspolitischer Perspektive zunehmend an Bedeutung. In diesem Kontext ist festzustellen, dass bei zahlreichen Akteuren in Lateinamerika die Meinung vorherrscht, dass es verantwortungsvolle Un­ter­neh­mens­füh­rung nicht gäbe. Vielmehr wird die privatwirtschaftliche Un­ter­neh­mens­tä­tig­keit generell als «kapitalistische Ausbeute» angesehen, dies gilt besonders für die Aktivitäten multinationaler Unternehmen. Gleichzeitig zeigt sich, dass derzeit noch wenig wissenschaftlich-basierte Erkenntnisse zur Umsetzung verantwortungsvoller Unternehmensführung in Lateinamerika vorliegen.

Vor diesem Hintergrund verfolgt das vorliegende multimediale Werk das Ziel, anhand von ausgewählten Beispielen zu beschreiben, mit welchen He­raus­for­de­rung­en Unternehmen in Lateinamerika in den Handlungsfeldern Menschenrechte / Arbeitsbedingungen, Umwelt und Korruption konfrontiert sind. Zudem soll mittels kurzer Fallbeispiele exemplarisch aufgezeigt werden, wie Unternehmen in den drei Bereichen verantwortungsvolle Unternehmensführung konkret ausgestalten. Um diese Ziele zu erreichen, wurden in den Monaten Juli bis November 2017 in den Ländern Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Mexiko und Peru mit 128 Un­ter­neh­mens­ver­tre­tern und Experten Interviews geführt. In diesen fünf Ländern leben 72% der Bevölkerung Lateinamerikas, und sie erwirtschaften 74% des regionalen Bruttoinlandsprodukts. Ferner sind diese fünf Länder für jeweils rund zwei Drittel der gesamten lateinamerikanischen Importe und Exporte verantwortlich (65%), und in ihnen befinden sich knapp drei Viertel aller ausländischen Direktinvestitionen, die in der Region getätigt wurden (74%). Darüber hinaus wurden in diesen Ländern 13 Vorträge gehalten, bei denen Vertretern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft aktuelle Kenntnisse zu spezifischen Aspekten der verantwortungsvollen Unternehmensführung vermittelt wurden. Die Vorträge wurden in Kooperation mit Netzwerkpartnern, wie bilateralen Handelskammern, Hochschulen und der Konrad-Adenauer-Stiftung, durchgeführt. Darüber hinaus wurden fünf Veranstaltungen zu Themen der verantwortungsvollen Un­ter­neh­mens­füh­rung besucht.

Basierend auf den generierten Erkenntnissen werden Handlungsempfehlungen formuliert, die sich an (wirtschafts-)politische Entscheidungsträger, Un­ter­neh­mens­ver­tre­ter und zivilgesellschaftliche Akteure sowohl aus Lateinamerika als auch dem deutschsprachigen Raum richten. Das multimediale Werk ist so aufgebaut, dass es sowohl in einer linearen Abfolge gelesen als auch in einer durch den Leser selbstgewählten, nicht-linearen Reihenfolge rezipiert werden kann. Zum einen können die Inhalte über die Länder erschlossen werden zum anderen über die Handlungsgebiete der verantwortungsvollen Unternehmensführung. Darüber hinaus bieten das Forschungstagebuch und die Landkarte die Möglichkeit sich den Inhalten zu nähern.